Höxter-Corvey (TKu). LGS-Geschäftsführerin Claudia Koch steht an der Eingangstüre zum „Haus des Chirurgen von der Weser“ im Archäologiepark in Corvey. Kurz darauf geht sie hinein und schaut sich im Haus um, wie die Menschen vor 800 Jahren gelebt haben. An fünf Stationen wird das Mittelalter durch eine multimediale Reise erlebbar gemacht. Besucher der Landesgartenschau Höxter tauchen hier virtuell in die unter gegangene Stadt Corvey ein. Die Technik, von der NRW-Stiftung gefördert, ist im Archäologiepark bei Corvey größtenteils startbereit mittels einer App, die sich bald jeder herunterladen kann. Aber auch auf viele weitere Highlights dürfen sich die Besucherinnen und Besucher hier freuen: So gibt es beispielsweise ein Areal für Kinder, wo sie selbst historische Gegenstände des Mittelalters ausgraben können, die sie danach medial erklärt bekommen. An einer anderen Stelle wurde der Keller eines Hauses nahe dem Chirurgen-Haus entdeckt. Auch hier wird Geschichte erlebbar gemacht. So soll es den Besucherinnen und Besuchern ermöglicht werden, selbst bei den live stattfindenden echten Ausgrabungsarbeiten mitzuhelfen unter Anleitung des LGS-Archäologen Ralf Mahytka.
Nur wenige Spatenstiche tief unter dem Rasen im Archäologiepark schlummert die untergegangene Stadt Corvey, die auch als das „Pompeji von Westfalen“ bezeichnet wird. Hier ist es möglich, virtuell in die Stadt einzutauchen dank moderner Computertechnik namens „Augmented Reality“. Damit ist es möglich, die versunkene Marktkirche betreten, auf dem Hellweg einem Pferdefuhrwerk zu begegnen oder über die riesige Weserbrücke staunen, die im Jahr 1265 zerstört wurde. Die Überreste blieben weitgehend unversehrt als Wüstung im Boden erhalten – eine archäologische Besonderheit, wie es vom Archäologen Ralf Mahytka hieß. Für die Zeitreise benötigt das Gartenschau-Publikum nur ein Smartphone oder Tablet mit den Betriebssystemen IOS oder Android. Insgesamt fünf Stationen wurden von der Firma NUSEC GmbH aus Beverungen in der „LGS Höxter“ App in virtuelle Erlebniswelten umgesetzt. „Sobald die Besucher ihr Handy auf bestimmte Trigger-Punkte im Park richten, erscheinen die Bauwerke auf dem Display.
Sie können um das Gebäude herumgehen, es von allen Seiten ansehen und sogar hineingehen“, erklärt NUSEC-Geschäftsführer Fernando Norpoth. Das angezeigte Bild folge immer genau der jeweiligen Bewegung und Perspektive des Betrachters. Die App ist kostenlos in den gängigen App-Stores verfügbar. Die Augmented Reality-Darstellungen ergänzen das Angebot des Archäologieparks, der markante Grundrisse in Sandstein nachzeichnet und an die Oberfläche holt. Zu jeder Station gehört außerdem ein Holzkubus, beim Betreten ermöglicht ein Hörspiel Begegnungen mit Menschen aus der Vergangenheit. So erzählt zum Beispiel der berühmte Chirurg von der Weser, wie er Fürsten und Herzogen das Augenlicht rettete. Die Zeitreise mittels „Augmented Reality“ gehört zu einem Projekt des Fördervereins der Landesgartenschau, welches seitens der NRW-Stiftung mit bis zu 190.000 Euro finanziell bezuschusst wird. „Dank dieser großzügigen Unterstützung können wir den Menschen einen faszinierenden Zugang zum Mittelalter verschaffen und Geschichte greifbarer machen“, freut sich Thomas Schöning, Vorsitzender des Fördervereins.
„Die Wüstung Corvey ist ein beeindruckendes Bodendenkmal und eine Besonderheit in Ostwestfalen-Lippe. Als Hauptförderin hilft die NRW-Stiftung dabei, die spannende Geschichte der untergegangenen Stadt virtuell zutage zu fördern“, betont Marianne Thomann-Stahl, Vorstandsmitglied des Fördervereins NRW-Stiftung. Auf dem Handy-Bildschirm taucht der breite, zweispurig gepflasterte Hellweg samt Straßenzug auf. Die Mittelalter-„Autobahn“ führte mitten durch die Stadt Corvey zu einer imposanten Brücke, die über den breiten Weserstrom führte. Sie war einer der Gründe, warum sich die Höxteraner am Überfall des Paderborner Bischofs auf Stadt und Kloster Corvey beteiligten und dabei halfen, die noch junge Stadt niederzubrennen. Man neidete den Nachbarn den wirtschaftlichen Erfolg - und den Brückenzoll.
Weitere Stationen sind die Stadtbefestigung und das Haus des Chirurgen von der Weser – ein berühmter Augenarzt, der schon im Mittelalter den Grauen Star stach und dessen Operationsbesteck man in Corvey gefunden hatte. „Die Besucher gehen durch die Tür hinein und sehen ein Regal mit Töpfen und eine Feuerstelle“, beschreibt Archäologe Ralf Mahytka. In diesem Fall hätten sich die Experten von Nusec beispielsweise an einem Mittelalter-Haus orientiert, das man im nahgelegenen Solling (Nienover) rekonstruiert hat. Insgesamt griffen die Augmented-Reality-Entwickler auf Ergebnisse von früheren Grabungen in der untergegangenen Stadt, von Bodenradar und Magnetik-Untersuchungen zurück. So kennt man beispielsweise die Form der Kirche genau – dreischiffig mit Pfeilern. Was die Archäologen über die einstige Stadt Corvey wissen, floss ein in die am Computer erzeugten Darstellungen. „Wir machen hier in Höxter einen Sprung in die Zukunftstechnologien, die in immer mehr Museen Fuß fassen“, sagt Bürgermeister Daniel Hartmann. Der neue Archäologiepark werde die Welterbestätte Westwerk Corvey dauerhaft ergänzen und touristisch aufwerten. Wenn die Landesgartenschau in Höxter am 20. April eröffnet wird, erwarte Familien mit Kindern auch eine Mitmachbaustelle.
Dort können Kinder Reste eines Kellers, einer Straße und von einem Brunnen im Sand ausbuddeln und dabei sogar Scherben, Teile von Hufeisen, einem Kamm oder einem Schlüssel finden. „Dafür haben wir Originalfunde aus der Stadt Corvey im 3-D-Druck nachgebildet“, erläutert Fernando Norpoth. Wenn die Kinder oder ihre Eltern ein Fundstück mit der App scannen, sehen sie im Sammelbuch, wozu das Fragment gehört und wie sich beispielsweise die Scherbe in einen Krug einfügt. „Im Spiel werden die Kinder hier zu kleinen Archäologen, ein außergewöhnliches Angebot“, freut sich LGS-Geschäftsführer Jan Sommer. Eine absolute Besonderheit sei eine Live-Grabung, bei der die Gartenschau-Besucher einem Archäologen bei der Arbeit über die Schulter schauen können, betont LGS-Geschäftsführerin Claudia Koch. „Wir sind bei unseren Bauarbeiten auf einen mittelalterlichen Keller gestoßen, den wir an bestimmten Aktionstagen vor den Augen der Besucher in Teilen freilegen werden.“
Dank der Förderung durch die NRW-Stiftung kann dieses historische Highlight erlebbar gemacht werden. Seit 1986 ist die NRW-Stiftung Partnerin des Ehrenamtes. Sie fördert Vereine und Bürgerinitiativen, die Natur, Heimat und Kultur in NRW schützen und erlebbar machen. Mehr auf www.nrw-stiftung.de und im neuen Podcast „Förderbande“. Die Umsetzung erfolgt durch das Unternehmen „NUSEC GmbH“, ein mittelständisches Unternehmen mit Sitz in Beverungen mit über 30 Jahren Erfahrung im Rückbau kerntechnischer Anlagen. Seit circa vier Jahren entwickelt der neue Firmenzweig NUSEC XR mit den computergestützten Technologien Augmented Reality, Virtual Reality und weiteren Elementen Anwendungen zur Unterstützung von Unternehmen bei ihrer Projektplanung und Schulungsmaßnahmen sowie für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Die Applikationen der NUSEC XR können und sollen dabei nicht nur im einstigen Kerngeschäft der NUSEC GmbH, sondern in allen Bereichen der Industrie, der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens zur Anwendung kommen. Die Landesgartenschau in Höxter startet in gut sieben Wochen. Am 20. April wird sie in Höxter eröffnet. Das 31 Hektar große Gelände erstreckt vom historischen Stadtwall über die Weserpromenade bis zur Welterbestätte in Corvey. Höxter präsentiert sich als Stadt am Wasser und als Stadt mit Geschichte. Zu Füßen des karolingischen Westwerks entsteht ein Klostergarten, direkt an der Weser eine Picknickwiese mit Aussicht und ein Dampfershuttle verkehrt auf dem Fluss.
Fotos: Thomas Kube